Der Fall Yves Rausch oder: Menschliches Versagen auf allen Seiten
„Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das jemand ist, der einem anderen etwas antut und jetzt stelle ich mir vor, da wird auf den geschossen.“
„Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das jemand ist, der einem anderen etwas antut und jetzt stelle ich mir vor, da wird auf den geschossen.“ So äußert sich ein Gastwirt und Bekannter aus Oppenau über Yves Rausch, während dieser von der Polizei durch den nahen Schwarzwald gejagt wird. Inzwischen sind 6 Monate vergangen, Yves Rausch wurde festgenommen und der Prozess gegen den 32-jährigen Waldläufer aus dem Schwarzwald hat begonnen. Die Anklage lautet unter anderem auf Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung, ihm drohen 15 Jahre Haft. Der Angeklagte wurde von 2 Beamten unter Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Was für ein Schwerverbrecher wird hier vorgeführt?
Was ist also passiert? Im Juli melden Anwohner in Oppenau eine Person, die grün bekleidet und mit Pfeil und Bogen ausgerüstet durch den Ort geht, bei der Polizei. Bei der Kontrolle durch vier Beamte eskaliert die Situation. Yves Rausch gelingt es mit einer Schreckschusspistole, die Oberhand über die Polizisten zu gewinnen. Er zwingt die Beamten, ihre Dienstwaffen abzulegen, nimmt diese an sich und flieht.
Diese peinliche Situation hat den Stolz der Beamten scheinbar schwer getroffen. Die bei der späteren Durchsuchung völlig verwüstete Hütte legt Zeugnis davon ab. Yves Rausch wurde nach seiner Flucht von hunderten Beamten, Spezialeinsatzkräften, Polizeihubschraubern und Hunden verfolgt. Nach sechs Tagen zeigt er sich einem Postboten und wird von der Polizei aufgegriffen. Als diese einen Taser gegen ihn einsetzt, verletzt er einen Beamten mit einem Beil am Bein. Aber er gibt auf und lässt sich schließlich verhaften.
Wie konnte es so weit kommen? Anwohner und Bekannte beschreiben Rausch als zurückgezogenen Einsiedler, der aber stets friedlich und harmlos gewesen sei. Er war ohne festen Wohnsitz und kann auf Außenstehende durchaus seltsam gewirkt haben: Naturverbunden, in Metal-Shirt und Army-Klamotten, lebte er in einer kleinen Hütte am Waldrand. Konsumverweigerung und alternative Lebensmodelle - damit können leider viele nicht umgehen und rufen lieber die Polizei. Wo somit die zwischenmenschliche Kompetenz der Bürger versagt hat, ist umso mehr die der Polizisten gefragt. Bestimmtes bis einschüchterndes Auftreten gehören zum Ausbildungsrepertoire der Polizei. Es soll dafür sorgen, dass sie in jeder Situation die Oberhand behalten. Während einer Razzia bei Drogendealern am Bahnhof kann es vermutlich gar nicht aggressiv zugehen. Dies sichert nicht nur die Festnahme, sondern auch den Eigenschutz der Polizeibeamten. Den Polizisten muss es aber in anders gelagerten Situationen möglich sein, die verschiedenen Eskalationsstufen dieser Einschüchterung gezielt und dosiert einzusetzen. Fühlt sich ein Mensch in die Enge gedrängt, eskaliert die Situation schnell. Yves Rausch war bekannt dafür, seine Freiheit zu lieben und zu leben. In der festnahmeähnlichen Situation der Kontrolle durch vier Beamte, die ihre Waffen auf ihn richten, ist völlig verständlich, dass er Angst um seine Freiheit hat und zu fliehen versucht. So hat er es dann auch später in seiner Aussage vor Gericht angegeben.
Immer wieder wird betont, dass auch Yves Rausch Fehler gemacht hat. Das ist sicher richtig. Im Nachhinein lassen sich viele Situationen rekonstruieren, in denen er die Lage noch einmal hätte entschärfen können. Denn vom Schreibtisch aus lässt es sich leicht urteilen. Ich persönlich möchte allerdings nicht in die Situation geraten, in der Yves Rausch war. Er hatte zum Zeitpunkt der Kontrolle durch die Polizei keinerlei Straftat begangen. Er wurde kontrolliert, weil er willkürlich durch einen Unbekannten angelappt wurde, dem seine Art zu leben nicht gefiel. Hätte sich die Polizei im Ort erkundigt, hätte sie mit Sicherheit erfahren, dass ihn seine Nachbarn als eigenwilligen, aber friedlichen Zeitgenossen beschreiben. Stattdessen wurden vier Waffen auf ihn gerichtet, und dann wurde erwartet, dass er genau das Richtige tut, keinen Fehler begeht und jederzeit ganz umsichtig und besonnen handelt. Die eingetretene Tür und die verwüstete Hütte, bei der sicher keine Rücksicht auf den Besitz von Yves Rausch genommen wurde, lassen seitens der Polizei nicht gerade auf besonnenes Handeln schließen. Es erinnert vielmehr an die Verwüstung der Behausungen der Demonstranten im Dannenröder Forst. Das Gleiche gilt für den Einsatz von Taser und Hunden. Die Bilder lassen es einem eiskalt den Rücken hinunterlaufen. Das Bild vom Freund und Helfer und vom immer korrekten Polizeibeamten bekommt Risse. Es erinnert eher an die Unteroffiziere, die man bei der Bundeswehr kennengelernt hat – in der Grundausbildung.
Ich als Mensch hoffe, dass ich niemals in eine solche Situation wie Yves Rausch gerate. Eine Situation aus der ich nur wieder herauskomme, wenn ich mich hundertprozentig richtig verhalte. Als Mensch mache ich nämlich auch mal Fehler. Das betrifft natürlich auch Polizisten. Aus diesem Grund werden sie mehrere Jahre ausgebildet, um sich in jeder Situation richtig verhalten. Von ihnen muss man mehr erwarten können, als vom Durchschnittsbürger. Deshalb hoffe ich auf einen vernünftigen Prozessverlauf und ein mildes Urteil für den Waldläufer aus dem Schwarzwald.